Paula Carolina
Paula Carolina fläzt – in Oversize-Jeanshemd, Oversize-Jeansweste und Oversize-Jeanshose gekleidet – vor einem Whitescreen. In ihre zu Spikes aufgestellten Haare sind knallgrüne Luftballons verknotet, bedruckt mit fünf Buchstaben: »EXTRA«. Beschriebenes Bild schmückt das Cover der allerersten, am 27. September erscheinenden Paula-Carolina-LP – ein Album, das genauso doll, genauso drüber, genauso schrill, genauso farbintensiv, genauso »EXTRA« klingt und nachwirkt, wie diese Komposition aussieht. Wenig überraschend trägt die Platte den Namen »EXTRA« – weil sie extra-ironische, extra- gesellschaftskritische, extra-rotzige, extra-meinungsstarke, extra-glückliche, extra-traurige, extra- nervöse, extra-zeitgemäße, extra-überfordernde und extra-dadaistische Puzzleteile zu einem schlüssigen, zehnteiligen Gesamtwerk bündelt. »EXTRA« ist laut, ohne parolenhaft zu poltern; ist Mainstream, ohne in Richtung Mainstream zu schielen; elektrisiert durch seine Nervosität und seine breitschultrige Andersartigkeit. Es manifestiert den selbstgeschaffenen Kosmos, in dem Paula Carolina seit 2021 kreativ aufgeblüht und vom Supportact zur Stilikone avanciert ist, erscheint wie ein Kunst- gewordener Safe Space für einen beachtlich breitaufgestellten Kreis an Menschen mit Herz am linken Fleck und unerschöpflich positiver Energie.
In diesem Safe Space scheint – zumindest auf musikalischer Ebene – alles erlaubt: Hier mischt sich live- tauglicher Indie-Pop mit zackigen NDW-Sounds, hier verschmilzt Future-Punk mit Techno-Gestampfe, hier trifft Moshpit-Material auf Pop-Appeal, hier fusionieren die Backstreet Boys mit Die Ärzte, Ideal und Großstadtgeflüster. Um zu verstehen, warum »EXTRA« klingt, wie es klingt, hilft ein Blick auf den maximal fluiden Entstehungsprozess der Platte. Paula Carolina ist seit knapp zwei Jahren fast durchgehend on the road, hat ihre gefeierte EP »Heiß/Kalt« seit 2022 auf unzählige Bühnen getragen. Zwischen etlichen Support-Slots, ausgedehnten Festival-Rutschen und einer restlos ausverkauften Solo-Tour im Spätherbst 2023 hat sie im familienähnlichen Kreis ihrer Band ein Leben als heimatlose Weltenbummlerin geführt – und die kurzen Ruhephasen zwischendurch auch noch für Kreativurlaube genutzt. Inmitten der permanenten Reizüberflutung – und beeinflusst von bohrenden Störgeräuschen aus der krisengeplagten, echten Welt – hat Paula im Zusammenspiel mit Gitarrist Nikolaus Winkelhausen an neuen Songs geschraubt: Auf den Autobahnen der Bundesrepublik, in Hotelzimmern, Backstage-Räumen und einsamen Hütten. »EXTRA« ist ein Abbild der wildesten Zeit in Paulas bisherigem Leben, ist ein Reisetagebuch und explizit für die Bühne geschrieben – ganz einfach, weil die Bühne nie weit weg war.
Bezeichnenderweise wurde ein Großteil der Songs auf »EXTRA« live, analog und frei nach dem Motto »Ich mach kein’ Pop, ich mach jetzt Lärm, Mama« eingespielt – im Berliner Studio von Produzent Johann Seifert. Die ungeschliffenen Gitarrenriffs, NDW-esken Synth-Stakkatos, hektischen Basslinien und tanzbar-schiebenden Drums, die »EXTRA« in seinem Charakter prägen, sind echt – und das hört man. Das markante Bindemittel zwischen sämtlichen Instrumental-Spuren und Sound-Experimenten? Paulas mal bogenförmig-geräumiger, mal abgeklärt-spitzer, mal schwindelerregend verzerrter Gesang. Ihre Stimme trägt hittig-chorale Hooks und Rap-ähnliche Flows mit Bravour, erscheint in etwa genauso breitgefächert wie die Themenpalette, die Paula auf ihrer Debüt-LP abhandelt. »EXTRA« erzählt Dorfanekdoten und Großstadtkamellen, breitet Kindheitserinnerungen (»Alles wieder gut«) und Tour-Geschichten (»Offiziell Glücklich«) aus, spiegelt selbstbewusste und fragile Momente. Es hält anarchisch-verschrobene Liebeslieder auf die Weirdness, auf’s Besonderssein und das stolze Losertum parat (»Extra«), spiegelt die tägliche Dosis kollektiver Verwirrt- und Verworrenheit unserer Zeit (»Willkommen in der Realität«, »Es zieht im Paradies«) und nimmt den Wahnsinn des vermeintlich Normalen auf die Schippe (»Otto Normal«). Es predigt feministische Praxis (»Danke Dirk«, »Sie Liebt Dich Nicht«) und ruft scharfzüngig zur Solidarität gegen den Rechtsruck auf (»Angst Frisst Demokratie«).
Zwischendurch? Immer neue Wortschöpfungen, verdrehte Slogans, popkulturelle Referenzen und erfrischende Abstrusitäten der Marke »Alles ist gut, solange du woke bist« oder »Die Wolken sind aus Sahne von glücklichem Soja«, die im Stück »Kein Bock« auf die Spitze getrieben werden. Paula- Carolina-Musik lebt von Beobachtungsgabe, Begeisterungsfähigkeit und Frechheiten; von der Verarbeitung negativer Gefühle mit Ironie und assoziativem Gedanken-Ping-Pong; von zynisch- pointierten Zeitgeist-Referenzen und gellendem Irrwitz, hinter dem sich stets eine zweite, aussagekräftige und nicht selten politische Ebene verbirgt. Paula hat bereits auf zwei EPs mit ihrer ureigenen Interpretation von progressivem Indie-Pop geglänzt – auf »EXTRA« hat sie ihre Vision nun stilsicher perfektioniert.
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